Samstag, 23. Mai 2020

Ab wann ist ein Twist zu viel?

Alternativ: Ist ein Twist denn von Nöten?

Gone Girl. Missing. Sie weiß von dir. Believe Me. The Girl on the Train. Wenn ich tot bin. Sie alle haben es getan: Sie haben uns in die falsche Richtung geführt, nur, damit wir am Ende total geschockt von der Wahrheit sind. Die Rede ist von Plottwists. Oder auch von sogenannten Twist-Villians. Sogar Disney folgt diesem Konzept sehr gerne - siehe Frozen. Man setzt eine Szene und gibt dem Publikum die Figuren vor. Diese entscheiden wer gut und wer böse ist. Und am Ende - bäm! Wird uns der vermeintliche Nice Guy als Bösewicht präsentiert. Die Formel funktioniert sehr gut. Bis zu einem bestimmten Punkt. Denn irgendwann rechnet man damit. Irgendwann wird ein Twist langweilig. Vorhersehbar. Nervtötend. Aber ab wann? Und brauch man ihn überhaupt für eine gute Story?

Schon Agatha Christie hat solche Twists in ihren Geschichten gerne genutzt. Am besten sind hier Mord im Orientexpress, Tod auf dem Nil oder auch Und dann gabs keines mehr zu nennen. Damals war es aber auch so, das ein Twist sich logisch erklären ließ. Man konnte, wenn man bestimmten Hinweisen folgte, doch darauf kommen. Heutzutage werden Stories konzipiert, allein um einen Twist zu haben. Sie werden um den Twist herumgebaut. Und dann fallen sie auf die Nase, weil das Ganze am Ende so weit hergeholt ist - quasi einmal Melmac und zurück - das erstens: niemand darauf kommt und es zweitens: sich nicht zu 100% logisch erklären lässt. Das liegt daran, das man meint, das ohne Twist eine Sache gar nicht erzählenswert ist. Oft wird aber unterschätzt, das ein Publikum diese Twists erkennt bzw. seine Schwächen. Das nennt man auch Plot-Hole, und sowas stört Fans (mehr dazu in einem eigenen Post).

Zuerst einmal: wie macht man einen guten Twist? Ganz einfach, schreibe mehrschichtige Charaktere. Kling gar nicht so einfach? Dann habe ich mich wohl geirrt. Das Erfinden von Figuren, die die Struktur eines echten Menschen haben, kann einem schwerfallen. Natürlich wenn man die richtige Story hat, kommt es wie von selbst. Mithilfe dieser Figuren lässt sich ein Twist gut verstecken. Denn wie im richtigen Leben kann einem ein Buchcharakter Dinge vorspielen und anders schildern. Schließlich wählen Autoren oft eine First-Person-Perspektive. Gerade in Büchern wie zum Beispiel Missing von Claire Douglas kann das wunderbar benutzt werden, um die Wahrheit zu verdrehen. Auch sollten bestimmte Details nur am Rand passieren, die am Ende zum Twist führen.

Wenn deine Geschichte einen guten Twist hat, freu dich. Du hast es geschafft die Leser temporär von der Wahrheit abzulenken. Das reicht doch eigentlich, oder? Die meisten denken, natürlich nein! Denn heutzutage hat man nicht nur einen Plot-Twist, sondern mindestens ein dutzend (gefühlt). Einige Autoren scheinen sich ganz darin zu verlieren, die dunkle Seite ihrer Figuren zu verstecken und alles in Szene zu setzen. Doch ab einem bestimmten Punkt sollte man einfach aufhören. Denn je mehr Twists du hast, desto schwerer lässt sich am Ende alles logisch erklären. Auch finden es manche Leser nervend, wenn der Autor nach der Devise -But wait, there's more- handelt. Irgendwann möchte man zu einem plausiblen Schluss kommen. Das geht aber nicht, wenn jede Figur ein dunkles Geheimnis hat, das auf den letzten 30 Seiten noch raus muss. Zu viel kann den Leser überfordern, sodass er gar nichts versteht und sich denkt "What the fuck did I just read?" Weniger ist mehr. Über drei Twists (meine persönliche Meinung) sollte ein gutes Buch nicht hinaus. Weil auch als Autor macht es das schwerer, seiner eigenen Story zu folgen. Dadurch entstehen Fehler. Und die mögen Fans am wenigsten. Deswegen: Mit dem Twist schön sparsam sein.

Das gerade geschilderte Verhalten von Autoren, so viele Twists zu schreiben, wie sie zu fassen kriegen, liegt aber teilweise mit am Publikum. Denn wenn man die oben angegebene Beispiele alle gelesen hat, kommt man als Leser irgendwann zu einem Punkt, wo das analytische Denken sich in verschiedene Richtungen bewegt. Du liest das Buch, hältst inne und überlegt, welche Szenarien jetzt wohl passieren könnten. Das tue ich inzwischen auch. Somit versucht sich der Leser an der gleichen Gedankenübung wie der Autor und überlegt sich drei oder vier verschiedene Dinge, die jetzt geschehen könnten. Je logischer das Buch aufgebaut ist, desto wahrscheinlicher ist es, das der Leser mit einer seiner Versionen goldrichtig liegt. Das ist eigentlich gar nicht schlimm, fühlt sich der Leser doch dann schlau und hat den Figuren was voraus. Einige lassen sich dadurch aber den Spaß nehmen. Denn das Publikum MÖCHTE schockiert und verwirrt werden und nach der letzten Seite ganz baff sein. Deswegen gehen Autoren von heute hin und ballern immer mehr Twist auf 300-600 Seiten. Das ist dann aber so viel, das der Leser nichts versteht. Oder es nicht logisch ist. Und dann wird sich auch beschwert. Ein Teufelskreis, also.

Da Twists im heutigen Geschichtenerzählen so allgegenwärtig sind, ist meine größte Frage: Warum nicht mal ohne? Kann man einen guten Krimi oder Thriller schreiben, ohne einen größeren Twist zu haben? Ohne Wow-Effekt oder großen Schocker? Das kann ich schwer sagen. Ich habe nach Büchern gesucht, die keine großen Twists haben. In den meisten finde ich aber doch einen großen Twist, der alles erklärt und einem einen WTF-Moment beschert. Aber auch nur einen. Die Geschichte wurde sorgsam aufgebaut und dann gab es den Twist serviert. Und es ging auf. Für ein Buch ist der Twist wie eine Art Schleife im Story-Telling. Nicht im wiederholerischen Sinne. Sondern in dem Sinne, das eine Erzählung ohne Twist linear nach vorne laufen würde. Ohne Kurven oder Abkürzungen. Geht das? In den oben genannten Genres nicht. Denn diese verlassen sich auf Twists, die den Leser schocken, faszinieren, Unterhalten. Wiederum gibt es Genres, bei denen es einzig auf die Welt ankommt oder und eine bestimmte Figur geht - hier zählt kein großer Twist, sondern das Ambiente oder die emotionale Verfassung des Protagonisten.

Auch ich komme nicht ohne Twists aus. Ich verwende sie sogar gerne, solange es in das logische Gefüge meiner Geschichten passt. Zudem gebe ich zu, das es Ideen gibt, die mit einem Twist angefangen haben. Doch ich hoffe, das ich für jeden von ihnen eine logische Umsetzung haben werde, damit daraus ein gutes Buch wird.

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