Sonntag, 29. November 2020

Sunderlands Gedankenwelt: Ab wann ist ein Cliffhanger zu viel

Wo wendet man sie am besten an? Und kann man zu viele Cliffhanger in ein Buch einbauen?

Diese Frage habe ich mir tatsächlich beim Schreiben von Nightmare Forrest gestellt. Und ja, die Ähnlichkeit des Titels zu einem früheren Themenpost über Plottwists ist durchaus gewollt. Denn ich möchte diesen Gedanken hier heute erläutern, weil er direkt meine Arbeit betrifft. Zuerst einmal die Definition des Begriffes: Ein Cliffhanger beschreibt zum Beispiel das Ende eines Films oder einer Serienstaffel, einer Situation, die dem Zuschauer eine schockierende, aufwühlende Entwicklung präsentiert, ohne sie allerdings aufzulösen. Film- und Serienfans ist der Begriff natürlich bekannt.

Im Laufe der Zeit hat es sehr viele berühmte Cliffhanger gegeben. Ein richtig tolles Beispiel stammt aus der BBC-Serie Sherlock, der Übergang zwischen der zweiten und dritten Staffel: Sherlock springt vom Dach des St. Bartholomews Hospital in London, nachdem dessen Reputation durch Moriarty zerstört wurde. Dieser hatte sich kurz zuvor selbst gerichtet und Sherlock darüber aufgeklärt, das seine Freunde sterben werden, wenn er es nicht tut. Als der berühmte Detektiv das Pflaster trifft und John nicht in der Lage ist, seinem Freund zu helfen, haben wahrscheinlich viele Zuschauer vor dem Fernsehe geschrien und geheult. Ganz am Ende der Folge, nachdem John am Grab seines Freundes den Wunsch nach einem letzten Wunder ausgesprochen hat, sehen wir in einer finalen Einstellung, das Sherlock, der natürlich noch lebt, ihn dabei beobachtet hat. Schwarzes Bild. Abspann. Für den Zuschauer bleiben jede Menge Fragen offen. Wie hat Sherlock überlebt? Wer liegt an seiner Stelle im Grab? Was ist mit Moriarty geschehen? Auch ich war wie paralysiert von diesem so gut gemachten Cliffhanger. Es ist auch nicht der Einzige davon in der Serie, aber nach meiner Meinung das beste Beispiel für diesen Post hier.

Ich persönlich finde ja, das man einen Cliffhanger an vielen Stellen benutzen kann. Wie gesagt, oft trifft man sie in Filmen, die somit eine Fortsetzung andeuten; bei Serien, die das Gleiche tun - in bestimmten anderen Formaten, wie Telenovelen, werden sie sogar Episodenweise genutzt, um den Zuschauer weiter zum gucken zu bewegen; Spiel-Franchises dürfen auf dieser Liste auch nicht fehlen, da hier Cliffhanger (gleich nach dem Film) am schönsten inszeniert werden können. Und natürlich gibt es auch Cliffhanger in der geschriebenen Form; oft habe ich bei Büchern, die mehr als einen First-Person-Erzähler verwenden, Kapitel-Cliffhanger gesehen, die erst aufgelöst wurden, wenn man wieder zur Handlung dieser einen Figur zurückkehrte. Diese wird dann meistens durch die Handlung einer zweiten/weiteren Figur durchbrochen, was die Spannung steigert. Jetzt ist die Frage: Kann man zu viele haben?

Wie bei jedem guten Produkt sollten bestimmte Komponenten nur sehr sporadisch eingesetzt werden, da sie sonst vom Konsumenten erahnt und als langweilig oder uninspiriert (nach dem Prinzip macht ja jeder) empfunden werden könnten. So können zu viele Cliffhanger an einem Fleck den Zuschauer verärgern oder sogar überfordern. In einer Serie ist man es ja inzwischen gewohnt, das jede Staffel dramatisch endet, damit die ersten zwei Folgen der nächsten das Problem löst und für den Rest alles wieder Tutti Frutti ist. In Büchern, dem Medium, um das es mir hier primär geht, ist das etwas anders: Natürlich kann ein Autor dazu verleitet werden, viele Kapitel mit einem Cliffhanger zu versehen, damit man einfach weiterliest und das Werk dem Begriff Page Turner gerecht wird. Und bei Büchern klappt das wahrscheinlich am ehesten, weil Leser darauf, sagen wir mal, reinfallen. Jedoch kann es dann passieren, das die Qualität der Erzählung darunter leidet.

Ein Beispiel: Wenn von einem Buch mit 26 Kapiteln ungefähr ein drittel mit einem Cliffhanger endet, sodass der Leser das Folgekapitel auch noch liest, dann würde ich es als noch im grünen Bereich betrachten. Es wirkt auf diese Weise eher willkürlich verteilt und nicht so pushy. Auch mutet die Handlung dann weniger dramatisiert an (je nach Gerne natürlich). Wenn man als Autor seine Cliffhanger unbewusst schreibt, entstehen automatisch weniger, wodurch sich der Stil frei bewegen kann, ohne sich selbst umzurennen. Wenn aber ein Buch mit 26 Kapitel in jedem zweiten oder noch öfter einen Cliffhanger einbaut, könnte sich der Leser vorkommen, als wolle der Autor ihn durch das Buch durchhetzen. Denn in jeder Geschichte braucht man eine Phase, in der man leicht rauslesen kann. Schließlich möchte man seine Lektüre an einem bestimmten Punkt auch mal unterbrechen wollen, ohne allzu viele Fragen offen zu haben, die durch den Cliffhanger entstanden sind. Zusätzlich kommt durch diese übermäßige Spannungsmache die Story nicht mehr ganz so gut weg. Sollte es wirklich nach fast jeden Kapitel einen Cliffhanger geben, dann hat der Autor es wohl bewusst so geschrieben. Und daraus resultiert, das er sich selbst limitiert, es sich sogar zu einfach macht. Durch dieses Verhalten kann es passieren, das man Dinge nicht erzählt, die später vielleicht noch wichtig sind. Oder das man bestimmte Aspekte außen vor lässt, die besser zum Ton und zur Geschwindigkeit des Ganzen passen. Dadurch kann einen ein Buch schnell nerven. Denn auch zum schludern ist der Schreiber dann verleitet, wenn der aufgebaute Cliffhanger eine ziemlich plumpe Lösung anbietet. Sowas enttäuscht Leser und lässt sie schlechter von Buch und Autor denken.

Mini-Cliffhanger
Als Mini-Cliffhanger würde ich es bezeichnen, wenn wir von eher beschränkteren Elementen einer Handlung ausgehen. Hierfür würde ich gerne Kathy Reichs in den Ring werfen: Oft benutzt sie Mini-Cliffhanger, wenn Tempe eine wichtige Entdeckung macht. Diese löst sie aber sofort auf, wenn man weiterliest, sodass es nicht so dramatisch rüberkommt wie bei einem großen Cliffhanger. Solche kleinen Spannungsübergänge kann man auch gerne öfter nutzen, den sie wühlen den Leser nicht so auf wie eine große Offenbarung. Es ist mehr ein Aha-Effekt. Man merkt ihnen nicht an, was sie sind, und machen trotzdem alles richtig.

Kann man auch ohne Cliffhanger auskommen?
Bestimmt. Ich habe jetzt zwar kein Beispiel parat, aber ich denke, das es bestimmt möglich ist, das Konzept Cliffhanger gänzlich zu vermeiden. Denn anders als bei einem Plottwist, der doch notwendig ist, ist ein Cliffhanger ein optionales Tool. Man sollte immer reflektieren, ob an einer bestimmten Stelle ein solches Vorgehen nötig ist. Und vor allem, was die Alternativen sind. Oft kann man anderen Variablen in sein Geschehen einbauen, ohne dabei auf die offensichtlichen Komponenten zurück zu greifen.

Das sind so meine Gedanken zu diesem Thema. Diesen Beitrag zu schreiben hat mir geholfen, alles ein wenig zu ordnen. Hoffentlich erweist sich der Artikel auch für andere als nützlich - gerade deshalb möchte ich noch einmal darauf hinweisen, das es sich hier nur um ein paar Denkspiele meinerseits handelt. Nichts davon sollte man als Gesetz empfinden, es ist lediglich eine von mir (für mich) gegebene Richtlinie.

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