Mittwoch, 6. Juli 2022

Gedanken zum Eurovision Song Contest

Eigentlich befinde ich mich gerade in der Umbauphase meines Blogs. Doch dann fiel mir ein alter Post ins Auge, den ich letztes Jahr veröffentlicht habe (den findet ihr hier). In diesem ging es um das schlechte Abschneiden von UK in den Jahren vor Corona. Auch 2021 lief es nicht sonderlich besser. Und dann kam 2022 Sam Ryder - und holte Eurovision-Silber. Ich war so sehr aus dem Häuschen, das ich mich nicht halten konnte. Aber der Reihe nach.

Bisher war ich davon überzeugt, das man Großbritannien aufgrund des Brexit keine Punkte für ihre Beiträge einräumen wollte. Das hielt sich auch 2021 in Rotterdam, als das Land erneut kaum Punkte bekam und hinten landete. Aber nach dem Contest ist vor dem Contest. Jedes Jahr beginnt mit einer leeren Tafel, auf der die Künstler und Songs nach und nach eingetragen werden und die Vorfreude wächst. So war es auch nach dem Sieg von Italien, der den Contest nach Turin holte. Wie immer war ein frischer Start die beste Hoffnung, das es beim nächsten Mal besser wird.

Doch kurz vor dem Wettbewerb bekam ich dann Corona - obwohl ich meine Eurovision-Week eigentlich mit freunden verbringen wollte. Das ist auch der Grund, warum ich hier im Blog so gut wie gar nichts zu Turin 2022 geschrieben habe - das sollte ich nachholen. Geschaut habe ich den ESC ja trotzdem. Und ich hatte eine gute Hand voll Favoriten. Diese waren unter anderem:

Großbritannien
Österreich
Tschechien
Schweden
Irland
Kroatien

Und für diese Länder habe ich auch gestimmt. Und noch einige andere, wenn ich mich recht erinnere. Jedoch passierte auch noch etwas anderes, was den Verlauf des Contest sogar veränderte: Der Krieg in der Ukraine. Tausende unnötige Tote. Flüchtende Menschen. Angespannte politische Verhältnisse. Die ganze Welt schaute nach Russland, wo man der Meinung ist, ein Krieg wäre während einer Pandemie eine gute Idee. Jeder spürt was der Krieg mit der Welt macht. Überall steigen die Preise und Menschen sorgen sich darum, das die Ukraine nur der Anfang ist. Doch was hat das mit dem ESC zu tun?

Das Land ließ es sich trotz des Krieges nicht nehmen, einen Act nach Turin zu schicken. Ich erinnere mich dunkel, das zuerst eine Sängerin gewählt wurde, die dann aber schließlich aus irgendeinem Grund ablehnte (ich weiß nicht mehr genau, was da lief) und somit sprang das Kalush Orchestra ein, um die Ukraine zu vertreten. Währenddessen würde Russland von der EBU quasi ausgeladen - was mich dazu bringt zu glauben, das man aus der Sache 2017 etwas gelernt hat (den Post findet ihr hier). Schon einige Wochen vor dem eigentlichen Wettbewerb wurden Stimmen laut, die prophezeiten, das die Ukraine aufgrund einer überbordenden Solidarität der Europäer ohnehin Sieger werden würden. Und sie sollten Recht behalten.

Am Finalabend holte sich der Brite Sam Ryder den ersten Platz - im Jury-Voting. Denn es hagelte mehrfach 12 Punkte aus den verschiedensten Ländern (sogar Deutschland). Das Märchen vom ESC in UK schien zum greifen nah. Dann begannen die Tele-Votes. Natürlich erhielt Deutschland mal wieder kaum Punkte (die Juries hatten uns komplett ignoriert) und je näher man das Board hochstieg, desto spannender wurde das Ganze. Ich lebte in der persönlichen Überzeugung das die Ukraine zwar Sympathie-Punkte erhalten würde, diese aber nicht für den Sieg reichen würden. Allerdings wurde ich etwas besseren belehrt. Das Land gewann mit der höchsten Punktzahl ever.

Auch in Nachhinein sagten viele "das war doch klar, das die gewinnen" zu mir. Und vielleicht war es das und ich habe es ausgeblendet. Denn ich wollte mir die Freude nicht nehmen lassen, den ESC zu schauen. Denn ich möchte hier jetzt noch einmal ganz fest anmerken, das es mir bei diesem Wettbewerb lediglich um eines geht: die Musik. Klar, ich schaue mir an, aus welchen Ländern die Songs kommen. Jedoch würde ich für einen richtig geilen Song aus San Marino genauso voten, wie für einen der aus Belgien, Griechenland oder Moldau kommt. So werde ich das immer halten, egal was passiert. Es gibt sogar Lieder aus Russland, die immer noch von mir gehört werden - den die Songs sind nicht diejenigen, die einen Krieg vom Zaun gebrochen haben. Leider bekommt man die Politik nicht ganz aus dem ESC heraus.

Hier ist die Geschichte aber noch längst nicht zu Ende. Also, die Ukraine hat gewonnen. Damit hat Europa kollektiv einen Stinkefinger nach Russland gezeigt. Es soll symbolisieren "Wir stehen hinter diesem Land und verurteilen die Menschen, die einen Krieg angefangen haben". So schön diese Botschaft auch ist, aber wir sind hier nicht in einem Disney-Film, wo ein solches Ende auch ein Happy-End bedeutet. Der Krieg läuft noch immer. Und es scheint kein ende in Sicht. Ich gönne dem Land seinen Sieg, aber trotzdem ist die ESC-Trophäe nur ein Glas-Mikrofon und keine Allzweckwaffe gegen russische Armeen. Bei Twitter und Co. werden dementsprechend andere Acts der Top 5 als Sieger bekundet. Darunter Chanel aus Spanien und Sam Ryder aus Großbritannien. Und im Falle des letzteren scheint der ESC ein echtes Karrieresprungbrett zu sein.

Nach seinem zweiten Platz in Turin stieg das Interesse an dem Sänger ins unermessliche. Er ist sogar beim Krönungsjubiläum der Queen aufgetreten. Darüber hinaus ist er ein toller, offener und fröhlicher Mensch, bei dem man gar nicht anders kann, als ihn zu mögen. Und sein Talent steht in nichts nach. Ich selbst bin gespannt, wie seine Karriere weitergeht. Ob ein Album kommt, zum Beispiel. Das würde ich definitiv anhören und kaufen, wenn es richtig gut ist. Um den Anfang dieses Posts noch einmal aufzugreifen: Das Großbritannien dieses Mal so gut abgeschnitten hat, trotz Brexit, scheint ein Zeichen zu sein, das ich mich irre. Vielleicht haben die Briten erst jetzt endlich mal den Nerv getroffen, den sie in all den Jahren davor verpasst haben. Das ist für mich zwar unverständlich, schließlich gab es immer wieder gute Beiträge, aber ich freue mich trotzdem sehr, das es endlich geklappt hat, wieder in den Top 5 zu sitzen.

Die EBU währenddessen stand nach dem Sieg der Ukraine vor einer ganz großen Frage: Wo soll bitte der nächste Eurovision Song Contest stattfinden? Durch den andauernden Krieg ist Kiew zu unsicher für alle (sprich die Delegationen samt Künstler, Zuschauer und Mitarbeiter des Wettbewerbs) und die berechtigte Sorge, das etwas passieren könnte, hat eine Entscheidung hervorgebracht. Nach Prüfung einiger Möglichkeiten hat die EBU beschlossen, das der Wettbewerb nicht in dem Land stattfinden kann. Und obwohl ich der Ukraine den Sieg gönne, gehe ich auch mit dieser Entscheidung konform. Zwar war das letzte Mal, das ein Contest in einem anderen als dem Siegerland ausgetragen wurde, im Jahre 1980, aber es geht nicht anders.

Viele Länder haben sich angeboten, für die Ukraine einzuspringen. Schweden zum Beispiel. Oder die Niederlande. Am intensivsten befindet sich die EBU aber in Gesprächen mit - richtig - Großbritannien. Das man im Land austrägt, das den zweiten Platz gemacht hat, ist nur fair finde ich. Und auch, wenn noch nichts fest ist, glaube ich schon, das es darauf hinaus laufen wird. Es muss nur noch eine Stadt gefunden werden, in der der Wettbewerb 2023 stattfindet. Ich schaue gespannt zu und hoffe, das Großbritannien dadurch vielleicht ihre Jahrelange Pechsträhne komplett beenden kann. Auch wünsche ich mir, das der Krieg bald beendet wird und die Ukraine wieder zu einem Land wird, dem es gut geht.

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